Gedicht des Monats November 2014

Hart

Hart, hartleibig, hartherzig.
Wer ertrüge sonst, was heute geschieht,
da die vermummte Abwehr ihre Gehirnschlangen
längst in unsere Köpfe implantiert hat?
Genug der Erdbeben, Überflutungen, Explosionen,
genug der politiktauglichen Bestürzungsrituale!
„Man muss sich die Rührung aus den Haaren kämmen.“ *
Rührung ist Schlagkraft fürs Morgenei.
Rührt euch! gehört als Entspannungsbefehl auf den Kasernenhof.
Kannibalen und Barbaren kennen keine Rührung.
Auskämmen überflüssig.
Die Bärte wuchern, Kahlkopf ist in.

Der Satz von den entarteten Bildern ist nicht passee;
gewinnt diesmal traurig-treffende Aktualität.
Das Paradies gehört der Schlange.
Der Baum der Erkenntnis ist abgeholzt.
Adams und Evas Machtergreifung haben funktioniert.
Sohn Kain mordet weiter wie eh und je.
Der Retter Mose konnte Gott noch hinterher sehen.
Gott hat sich zurückgezogen. Und wir haben das Nachsehen.

Kairos, die günstige Gelegenheit, wurde nicht ergriffen.
Man hat der Stirnlocke Menschheit Glatze rasiert.
Ihr muss keiner mehr die Rührung aus den Haaren kämmen.
Der Beschönigungsfrisör hat ausgedient!

Josef Butscher

* Satz von Karl Krolow aus seinem Gedicht „Ausverkauf“

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