Gedicht des Monats Dezember 2015

Als die Vergesslichkeit zunahm

Als die Vergesslichkeit zunahm,
erfand der Mensch das Schreiben,
in Stein gemeißelt und federleicht.
Trotzdem windet sich die Zeit im Kreis,
ihren Anfang suchend.
Versunkene Kulturen, mühsam freigelegt,
wecken Bewunderung, lösen Erschrecken aus.
Prozessionen tragen
pralle Ruhmestaten durch die Stadt,
selbsternannte Priester verkünden Traumstationen.

Neue Hieroglyphen werden entdeckt,
warten auf Entzifferung.
Freiheit und Gerechtigkeit
führen nach wie vor ein Asylantendasein,
kaum erwachte Schuldgeständnisse
werden von der Festplatte gelöscht,
Stiefmütterchen Vergebung kauert
verlassen im Altenteil.
Schnee rieselt ins Gemüt.
Mythen kommen und gehen.
Die Fragen bleiben.

Keiner kann sagen, wann das Alter anfängt.

Der Jahreszyklus der Welt,
so wird befürchtet, endet eines Tages.

Du schaffst nicht mehr
den Weg zurück in den Frühling.
Versuche, den Herbst zu finden!
Wir brauchen Früchte und Korn
als Nahrung und Saatgut.

Das Bleibende, wenn es sich dir erschlossen hat,
ist denkbar einfach.

Josef Butscher

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